Scheinselbstständigkeit vermeiden: Darauf müssen Sie achten

Scheinselbstständigkeit ist für Auftraggeber und Auftragnehmer gleichermaßen riskant: Für Unternehmer drohen hohe Nachzahlungen von Sozialversicherungsbeiträgen, für betroffene Dienstleister Verlust von Vorteilen der Selbstständigkeit. In diesem Artikel erläutere ich praxisnah, welche Kriterien Behörden prüfen, wie Sie Ihre Zusammenarbeit rechtssicher gestalten und welche Nachweise im Zweifel schützen. Am Ende haben Sie eine Checkliste und konkrete Vertragsvorschläge, damit Sie das Risiko einer Einstufung als scheinselbstständig nachhaltig minimieren.

Was versteht man unter Scheinselbstständigkeit?

Scheinselbstständigkeit liegt vor, wenn eine Person formal als Selbstständiger auftritt, faktisch aber wie ein Arbeitnehmer in die Arbeitsorganisation eines Auftraggebers eingegliedert ist. Entscheidend sind nicht die Bezeichnungen im Vertrag, sondern die tatsächliche Ausgestaltung des Arbeitsverhältnisses. Behörden wie die Deutsche Rentenversicherung oder das Finanzamt prüfen konkrete Kriterien und Sachverhalte – nicht allein die Vertragsform.

Typische Merkmale

Keines dieser Merkmale allein beweist Scheinselbstständigkeit, aber in der Gesamtschau erhöhen sie das Risiko. Wichtig ist: Rechtsprechung und Verwaltungspraxis betrachten die tatsächlichen Verhältnisse, nicht nur formale Vereinbarungen.

Rechtliche Prüfungsmaßstäbe und Folgen

Welche Konsequenzen drohen bei Feststellung von Scheinselbstständigkeit? Im Kern geht es um Nachforderungen von Sozialversicherungsbeiträgen, mögliche Steuernachzahlungen und zivil- oder strafrechtliche Folgen bei vorsätzlicher Umgehung von Abgaben. Für Unternehmen kann das existenzielle finanzielle Belastungen bedeuten.

Statusfeststellungsverfahren

Zur Reduktion von Unsicherheit können Beteiligte ein Statusfeststellungsverfahren anstreben. Eine verbindliche Entscheidung gibt die Deutsche Rentenversicherung; parallels dazu kann es Prüfungen durch Finanzbehörden geben. Orientierung und Hinweise zur Abgrenzung finden Unternehmen auch in Publikationen des Bundesfinanzministerium, etwa zur steuerlichen Behandlung selbstständiger Einkünfte.

Konkrete Folgen

Konkrete Maßnahmen zur Vermeidung von Scheinselbstständigkeit

Das Ziel ist, das Verhältnis so zu gestalten und zu dokumentieren, dass typische Indikatoren der Scheinselbstständigkeit nicht erfüllt sind. Im Folgenden praktische Maßnahmen, die Sie sofort umsetzen können.

Mehrere Auftraggeber und Marktpräsenz

Arbeiten Sie aktiv für mehrere Kunden und dokumentieren Sie dies. Ein freiberuflicher IT-Berater, der dauerhaft 90% seiner Zeit für einen Kunden arbeitet, hält die Sozialversicherungsträger für angestellt. Dagegen reduziert ein Portfolio aus drei bis fünf Kunden das Risiko deutlich. Ergänzend: Eigene Website, Referenzen, Angebote an Dritte und regelmäßige Akquise belegen Marktaktivität.

Unternehmerrisiko und Investitionen

Unternehmerrisiko zeigt sich durch Investitionen in Arbeitsmittel, eigene Mitarbeiter oder Haftungsübernahmen. Beispiele: Ein Grafiker kauft professionelle Softwarelizenzen, betreibt eigene Büroinfrastruktur und beschäftigt Freelancer; eine Projektmanagerin tritt mit klaren Pauschalhonoraren auf und haftet für Projektergebnisse. Solche Elemente stärken die Anerkennung als selbstständig.

Gestaltung der Vergütung

Leistungsorientierte oder pauschale Vergütungen sind ein gutes Signal. Stundenlohn plus detaillierte Leistungsvereinbarungen können dagegen wie ein Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Verhältnis wirken. Vereinbaren Sie konkrete Deliverables und Abnahmeprozesse statt reiner Zeitabrechnung, sofern möglich.

Echte Substitutionsmöglichkeit

Ermöglichen Sie vertraglich die Erbringung der Leistung durch Dritte (Substitution) und dokumentieren Sie, dass sachgerecht qualifizierte Ersatzpersonen eingesetzt werden können. Ein Softwareentwickler sollte im Vertrag die Möglichkeit haben, Kollegen einzusetzen und hierfür verantwortlich zu zeichnen.

Arbeitszeit und Ortsflexibilität

Vermeiden Sie enge Vorgaben zu Arbeitszeiten und -ort. Beispiele: Statt „Montag bis Freitag 9–17 Uhr im Büro“ besser: „Leistungserbringung im Rahmen vereinbarter Milestones, Ort und Zeit frei wählbar“. Je mehr terminliche Freiheit, desto geringer das Risiko der Eingliederung.

Vertragsgestaltung und Dokumentation

Vertragstexte allein sichern nicht, aber sie helfen: Klar formulierte Vereinbarungen kombiniert mit Belegen aus der Praxis sind entscheidend. Folgende Vertragsklauseln und Nachweise sind empfehlenswert.

Wichtige Vertragsklauseln

Dokumentation und Nachweise

Bewahren Sie folgende Unterlagen systematisch auf:

Diese Dokumente sind im Prüfungsfall oft entscheidend, weil sie die tatsächliche Selbstständigkeit belegen.

Praxisbeispiele und typische Problemfälle

Konkrete Fälle helfen bei der Einordnung. Die folgenden Beispiele zeigen realistische Konstellationen mit Handlungsempfehlungen.

Beispiel 1: IT-Freelancer im Projekt

Situation: Ein Entwickler arbeitet seit 18 Monaten in Vollzeit an einem internen Projekt, nutzt die interne Projektmanagement-Software des Auftraggebers und erhält Aufgaben täglich per Tool. Risiko: Hoch. Maßnahmen: Nachweise über eigene Kundenprojekte, Einsatzmöglichkeit von Substituten, Pauschalpreisvereinbarungen für einzelne Module, zeitliche Begrenzung des Engagements.

Beispiel 2: Marketingberater mit mehreren Kunden

Situation: Eine Beraterin betreut drei vergleichbare Mittelstandskunden und rechnet projektbezogen ab. Risiko: Niedrig bis moderat. Maßnahmen: Klare Vertragsgestaltung mit Leistungszielen, eigene Büroinfrastruktur, nachweisbare Akquiseaktivitäten.

Beispiel 3: Exklusiver Außendienst

Situation: Ein Handelsvertreter arbeitet ausschließlich für einen Hersteller, trägt aber eigenes Risiko bei Rückläufern. Risiko: Mittel; Ausschließlichkeit allein ist nicht zwingend Scheinselbstständigkeit. Maßnahmen: Verträge, die Provisionsregelungen, eigenständige Preisgestaltung und Akquisebefugnisse dokumentieren; Nachweis von Kundenkontakt außerhalb des Auftraggebers.

Prüfung durch Behörden und Vorbereitung auf Betriebsprüfungen

Behörden wie Rentenversicherungsträger oder Finanzämter werten den gesamten Lebenssachverhalt. Oft beginnt eine Prüfung mit Fragen oder Aufforderungen zur Vorlage von Vertragsunterlagen und Abrechnungen. Vorbereitung und proaktive Kommunikation reduzieren Risiken.

Praktische Vorbereitung

  1. Pflegen Sie eine Aktenstruktur mit Vertrag, Leistungsnachweisen, Rechnungen und Schriftverkehr.
  2. Führen Sie eine Aufstellung mit Auftraggebern und Arbeitszeiten, um Abhängigkeiten transparent zu machen.
  3. Holen Sie bei Unsicherheit externen Rat ein, zum Beispiel bei Ihrer regionalen IHK oder steuerlichen Beratern.

Eine frühzeitige Statusklärung durch die zuständige Rentenversicherung kann in Einzelfällen Rechtssicherheit schaffen. Für steuerliche Fragen nutzen viele Firmen elektronische Verfahren wie ELSTER zur Dokumentation steuerrelevanter Sachverhalte.

Fazit

Scheinselbstständigkeit ist kein rein juristisches Feindbild, sondern ein praktisches Risiko, das sich durch gezielte Vertragsgestaltung, nachweisbare Selbstständigkeitsmerkmale und saubere Dokumentation deutlich reduzieren lässt. Wichtige Bausteine sind mehrere Auftraggeber, unternehmerisches Risiko, freie Zeiteinteilung, Substitutionsmöglichkeiten und leistungsorientierte Vergütung. Im Zweifel lohnt sich die frühzeitige Einholung von Beratung bei der IHK oder spezialisierten Steuer- und Sozialversicherungsberatern. Mit einer klaren Struktur, nachvollziehbaren Nachweisen und standardisierten Vertragsklauseln schützen sich sowohl Auftraggeber als auch Auftragnehmer vor teuren Nachforderungen und Rechtsunsicherheit.



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Author
Timo Kleemann

Timo ist der Gründer von BillingEngine. Nach seinem Studium der Internationalen Betriebswirtschaft und Informatik gründete er zunächst die Webdesign-Agentur DesignBits.

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08.09.2025
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